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Titel
Die Verwaltung einer Utopie. Die Treuhänder der Arbeit zwischen Betriebs- und Volksgemeinschaft 1933–1945


Autor(en)
Eden, Sören
Reihe
Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Clemens Winter, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Ohne Umschweife nennt Sören Eden gleich zum Einstieg die diversen Facetten der „Treuhänder der Arbeit“, einer ab Mai 1933 dem Reichsarbeitsministerium (RAM) nachgeordneten regional angesiedelten Behörde: ihr Image als „Provisorium“, ihre umfangreichen Befugnisse auf betrieblicher Ebene und bei den Tarifordnungen sowie ihre Aufgabe, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit im Sinne der „Volksgemeinschaft“ zu harmonisieren. Sind die Treuhänder an der Aufgabe, diese „Utopie [zu] verwirklichen“, gescheitert? Und wenn ja – warum wurden sie dennoch mit immer neuen Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet? Diesen Fragen widmet sich Eden auf über 400 anregenden Seiten. Seine Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojekts der ab 2013 tätigen Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des RAM im Nationalsozialismus.1 Die zahlreichen Querverweise auf andere „Tiefenbohrungen“ des Projekts und die gemeinsame Nutzung von erhobenen Daten zeigen, wie gewinnbringend die kollaborative Untersuchung historischer Institutionen sein kann.

Eden widmet sich den Treuhändern der Arbeit im Rahmen einer Verschränkung der Verwaltungs- sowie Herrschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, der Geschichte der Arbeitsbeziehungen und schließlich der Rechtsgeschichte. Seinen Leserinnen und Lesern stellt er in Aussicht, „die These der Polykratie infrage“ zu stellen (S. 16), die „Doppelrolle der Treuhänder“ zwischen „Arbeitnehmern und Arbeitgebern“ sowie „zwischen Privatem und Staatlichem“ zu dekonstruieren (S. 21) und in Bezug auf die Rechtshistorie „den wechselseitigen Einfluss von Norm und Praxis sichtbar zu machen“ (S. 24). In theoretischer Hinsicht dockt Eden an die Organisationssoziologie an, die klassischerweise mit Niklas Luhmann und in der jüngeren Historiographie zunehmend mit Stefan Kühls Untersuchung der „ganz normalen Organisationen“ im Kontext des Holocaust verbunden ist.

Im ersten Kapitel steht die angesprochene „Doppelrolle“ der Treuhänder im Mittelpunkt. Eden skizziert zunächst die sozial- und ideengeschichtlichen Hintergründe des „Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit“ („Arbeitsordnungsgesetz“/AOG) und grenzt sich klar von früheren Darstellungen ab. Diese hatten das AOG als Kompromiss zwischen Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei (NSDAP), Reichsarbeitsministerium und Wirtschaftsvertretern interpretiert und die Gründung der Treuhänder als Provisorium verstanden, womit laut Eden lediglich die „Selbstdarstellung des Ministeriums“ übernommen worden sei (S. 48). Er hingegen erkennt im AOG die „konsequente Umsetzung der gesellschaftlichen Vision von einer deutschen ‚Volksgemeinschaft‘“ (S. 70) und die Treuhänder-Behörde als deren Katalysator im Bereich der Arbeitsbeziehungen.

Die einschlägige Literatur wird von Eden nicht nur annotiert, sondern gründlich gegen den Strich gelesen und mit eigenen Befunden abgeglichen. Bemerkenswert ist dabei insbesondere Edens wiederholte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von Rüdiger Hachtmann – etwa zur Frage, ob die Deutsche Arbeitsfront (DAF) Anspruch auf das Tarifwesen erhob (S. 73), zur Bewertung der Personalentwicklung der Treuhänder-Behörde (S. 109) oder zur Struktur der DAF (S. 190). Eden arbeitet sich damit nämlich nicht nur an einem ausgewiesenen Experten in seinem Themenfeld ab, sondern zugleich auch am Zweitgutachter seiner hier vorliegenden Dissertation. Ein so offener Umgang mit den jeweiligen Forschungsergebnissen spricht sowohl für die Qualität der vorliegenden Arbeit als auch für den Betreuungs- und Begutachtungsprozess.

Im zweiten Kapitel widmet sich Eden „Funktionen und Personal“ der Treuhänder. Exemplarische biografische Skizzen und Grafiken mit statistischen Daten gestalten diesen Teil sehr anschaulich. Eden beschreibt die Treuhänder in Anlehnung an Luhmann einleuchtend als „Grenzstelle“ des Reichsarbeitsministeriums. Sie sollten im direkten Kontakt mit anderen Akteuren einerseits Informationen sammeln, verarbeiten sowie an das RAM vermitteln und hatten andererseits dessen „politischen Willen […] an die jeweilige Region und Branche anzupassen und dort durchzusetzen“ (S. 79). Sie fungierten als feste und kompetente Ansprechpartner für alle Akteure – die Unternehmen, deren Beschäftigte, Wirtschaftsorganisationen, regionale Behörden, aber auch für DAF und Partei. Dementsprechend gestaltete sich das Profil der Mitarbeiter. Diese sollten fachlich versiert sein, aber auch Fingerspitzengefühl und nicht zuletzt Autorität mitbringen. Ein entscheidendes Kriterium war allerdings die Mitgliedschaft in der NSDAP, welche Eden bei 90 Prozent der Treuhänder; bei den Regierungs- und Oberregierungsräten als „Herzstück“ der Verwaltung sogar zu 95 Prozent feststellen konnte.

Streitbar ist Edens Interpretation, dies sei „paradoxerweise gerade kein Beleg für eine besondere ‚Nazifizierung‘ der Behörde“ (S. 125). Auch wenn, wie Eden herausstellt, weniger ideologische Überzeugung auf individueller Ebene hier den Ausschlag gab, kann nicht gerade der von ihm veranschlagte hohe parteipolitische Anpassungsdruck auf die jungen und neu in den Staatsdienst übernommenen Mitarbeiter als entscheidendes Merkmal des sozialen Prozesses der „Nazifizierung“ gelesen werden?

Mit der konkreten Tätigkeit der Treuhänder-Verwaltung in der Aushandlung überbetrieblicher Arbeitsbeziehungen beschäftigt sich Eden im dritten Kapitel. Zunächst widmet er sich den rechtlichen Regelungen, insbesondere der Ablösung der Tarifverträge aus der Weimarer Republik durch Tarifordnungen. Bei deren Gestaltung hatten die Treuhänder – typisch für Grenzstellen – sehr große Spielräume. Ausführlich beschreibt Eden die bisher wenig beachteten Sachverständigenausschüsse als wichtigste überbetriebliche Verhandlungsräume, in die sich der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit – nun zwischen DAF und Vertretern der Industrie ausgefochten – verlagerte. Zusammensetzung und Arbeitsweise dieser „Kontaktzonen“ der Treuhänder zeigen laut Eden, dass die überbetriebliche Regelung der Arbeit im Nationalsozialismus „erheblich korporativer“ ausfiel als bisher angenommen (S. 160). Am Beispiel des westfälischen Bergbaus macht er jedoch auch deutlich, dass es den Treuhändern nicht gelang, diese Auseinandersetzungen beizulegen. Mit dem Primat der Kriegswirtschaft und der drastischen Niedriglohnpolitik der NS-Regierung waren die Treuhänder zunehmend Rollenkonflikten ausgesetzt. Im Krieg geriet die Behörde in eine schwere Krise: Das Tarifwesen als ihr zentrales Betätigungsfeld wurde zunehmend geschwächt und die von ihnen erwartete Lohnkontrolle überforderte sie völlig.

Eden vermag es, die Geschichte der Treuhänder-Verwaltung als spannungsreiches Auf und Ab einer Behörde zu erzählen. So zeigt er im vierten Teil, wie sich die Organisation der Treuhänder in der Krise neu erfand. Ausgehend von der nationalsozialistischen Arbeitsverfassung beschreibt Eden, wie die Treuhänder betriebliche Konflikte befrieden sollten. Und von diesen gab es trotz der permanenten Beschwörung einer sozialharmonischen „Betriebsgemeinschaft“ als „Keimzelle der Volksgemeinschaft“ nicht wenige. Eden macht deutlich, dass die betriebliche Schlichtung nicht nur der Integration diente, sondern ebenso der Exklusion und Sanktionierung. Diese „Kehrseite“ wurde in der zweiten Hälfte der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend relevant, als Arbeitsvertragsbrüche – auch im Zusammenhang mit der Ausbeutung ausländischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter – zum Massenphänomen wurden. Dies war für die Treuhänder-Verwaltung die Gelegenheit, „ihre Relevanz auf ihrem verbliebenen Tätigkeitsfeld zu beweisen“ (S. 317). Dafür musste sie sich jedoch von einer ursprünglich kleinen „Schlichtungsbehörde zu einer disziplinierenden Massenverwaltung“ (S. 321) entwickeln. Zum einen gelang dies durch die partielle Fusion mit den Landesarbeitsämtern, von der die Reichstreuhänder-Behörden durch erheblichen Ressourcenzuwachs stark profitierten. Zum anderen wirkte die enge Zusammenarbeit mit den Justiz- und Polizeibehörden, insbesondere der Gestapo, stabilisierend. Eden argumentiert überzeugend dagegen, das „polykratische Chaos“ als Interpretation überzustrapazieren, und erkennt vielmehr eine „ebenso simple wie effiziente Arbeitsteilung“ (S. 360). An mancher Stelle hätte er mit konkreten Beispielen dieser Kooperation die erschreckende Verbindung von Verwaltung und Verbrechen noch stärker veranschaulichen können. Doch auch so zeigt Eden deutlich, wie sich eine nationalsozialistische Behörde durch Radikalisierung aus der eigenen Bedeutungslosigkeit rettete.

Edens Fazit bündelt die Ergebnisse noch einmal prägnant. Nachdem die angekündigte Rückbindung an die Organisationstheorie vor allem in der Charakterisierung der Treuhänder als „Grenzstelle“ bestand, wird nun die Krise der Behörde am Ende der 1930er-Jahre noch einmal organisationstheoretisch verortet. Da die Veränderung der eigenen Struktur die bestehenden Zielkonflikte nicht lösen konnte, „versuchte die Verwaltung, die Umwelt an die eigene Organisation anzupassen“ (S. 401). Dies geschah mit der massiven Kriminalisierung und brutalen Bestrafung der Arbeitsvertragsbrüche, um so mit Gewalt die Niedriglohnpolitik der NS-Regierung durchzusetzen. Nach dem grundlegenden strukturellen Wandel war aus der Schlichtungsbehörde eine Verwaltung geworden, die vor allem mit Disziplinierung und Ahndung beschäftigt war. Damit waren die Treuhänder laut Eden letztlich „erfolgreich gescheitert“ (S. 402).

Leider bricht die Studie – nicht argumentativ, aber im Hinblick auf ihren narrativen Spannungsbogen – an dieser Stelle etwas abrupt ab. Auch wenn das den klar definierten Rahmen des Projekts überschreitet, wünschte man sich am Schluss doch zumindest einen kleinen Ausblick auf das Ende und mögliche Nachwirkungen der Behörde, über die man nach der Lektüre bestens informiert ist. Aber der selbst gesteckte Anspruch der Studie wird vollständig eingelöst. Es ist Sören Eden ausgezeichnet gelungen, ein differenziertes und anschauliches Bild der Treuhänder der Arbeit in ihren verwaltungs- und rechtshistorischen Kontexten sowie in der Geschichte der Arbeitsbeziehungen zu zeichnen.

Anmerkung:
1 Vgl. als Überblick zum Projekt: Alexander Nützenadel (Hrsg.), Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus. Verwaltung – Politik – Verbrechen, Göttingen 2017.

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